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Vorzug: Banksys Superheldin

Von streetart, Krankenschwestern und postkapitalistischem Spiel

Bild: ©  https://www.banksy.co.uk/

Ein Wesen der sogenannten streetart des britischen Künstlers Banksy und zugleich ein Potenzial seiner Arbeiten besteht in der Umsetzung spontan wirkender Bilder, die vielfach aus der Kombination vordergründig scheinbar unzusammenhängender Bildelemente besteht. So sind bislang  bekannte Bildsujets u.a.  Kind-Figuren, die - z.B. dargestellt mit einem herzförmigen Luftballon oder als ein schaukelndes Mädchen - ein Beispiel für ein vordergründig harmlos erscheinendes Bildthema, das fast in seiner unerhört wirkenden Banalität des Bildgegenstandes ruht. Umgesetzt werden viele seiner Arbeiten mit Hilfe einer Schablonentechnik, die es ihm ermöglicht, das Bildsujet in der Manier eines Multiples vielfach zu wiederholen. Die unlängst als spektakuläre Aktionskunst  daherkommende Arbeit eines sich im Kunst-Auktionsraum selbst mit Hilfe eines eingebauten Shredders zerkleinernden gerahmten Bildes hatte Banksys Kindfigur mit dem Luftballon weltweit bekannt werden lassen. Es ist aber auch ein Kommentar gegenüber einem Kunstbetrieb, der die ursprünglich auf Wände und Fassaden abonnierten Formen künstlerischen Ausdrucks neu in seine Wertschätzungslisten integriert zu haben scheint. Längst nicht mehr nur beschränkt auf die Oberflächen von Aussenwänden oder Fassadenflächen der für die streetart typischen Arneitsgründe hat  Banksy bereits vor einigen Jahren begonnen, auch andere Malgründe zu verwenden, vielleicht sich dabei als Kunst im museal oder kunsthistorisch verstandenen Sinn des mainstreams zu emanzipieren oder besser zu etablieren.

Nicht als über Nacht unter Zeitdruck hingeworfene streetart, sondern mit gemaltem Bild als Gabe an ein Krankenhaus in der 'Corona'-Krise hat eine der neuesten Arbeiten von Banksy begonnen, Furore zu machen. Als mehrfach  beteiligter Künstler  bei der weltweit einmaligen 'Urban Art'-Biennalle im Völklinger Weltkulturerbe hatte Banksy 2017 mit seiner Arbeit "Toxic Mary (double), Unique 2003" ein Bildformat gewählt und bereits gängige streetart-Oberflächen wie Hausfassaden, Brückenpfeiler  verlassen.

Die Arbeit 'Game Changer' ist eine der neuesten Versuche Banksys, sich bildkünstlerisch und vor allem spektakulär zu Wort zu melden. Als Gemälde und Geschenk an das Southhampton General Hospital im südenglischen Southampton wird hier augenscheinlich ein klarer Bezug zur derzeitigen 'Corona'-Pandemie hergestellt.

Das dargestellte spielende Kind in der Manier einer Kinderbuchillustration schwarz weiß und in der Art eines in früheren Zeiten gängigen Kupfer- oder Stahlstiches angelegt, ist in sein Spiel vertieft. Es hält seine Puppe aufmerksam in die Höhe, während ein Eimer im Hintergrund für das Sppiel ausgediente Puppen enthält. Unschwer erkennt man im Eimer abgelegt die Puppenversionen von Batman und Spiderman, die  normalerweise als Superhelden die Kinderzimmer bevölkern. Ein  Desinteresse des im Vordergrund spielenden Jungen deutet einen vielleicht einen sichtbar werdenden Paradigmenwechsel in puncto Heldenauffassung: Die bisherigen Helden haben ausgedient. Die Idole der Popkultur, die zunächst über Comics von 'Batman' oder 'Spiderman' bleiben im Hintergrund, wo sie abgelegt worden sind. Die Helden der modernen Industriekulturen mit ihren Megastädten und kapitalistischen Endzeitsystemen haben ausgedient. Die vorläufig letzte Form der weiter fortschreitenden Individualisierung zeigt sich in der mehr oder weniger selbstvergessenen, agesellschaftlichen Konzentration des Protagonisten bei Banksy auf Themen wie Gesundheit und derjenigen Gesellschaftsmitglieder, die die Individualgesundheit aufrecht erhalten. Die ganze Aufmerksamkeit des Jungen gilt somit folgerichtig der Figur einer Krankenschwester, die deutlich erkennbar und gekennzeichnet durch rotes Kreuz und Mundschutz den Platz der früheren Superhelden eingenommen hat. Die Figur wird spielerisch als im Flug befindlich vom spielenden Jungen geführt und es erscheint am Rücken der Krankenschwester eine Art Umhang, der an die abgelegten Helden reminisziert, ohne aber in deren Fußstapfen zu treten.

Die Bildaussage könnte so verblüffend wie einfach sein: In Zeiten der weltweiten 'Corona'-Bedrohung und einer vielfach festgestellten unzureichenden Versorgung der Bevölkerung mit adäquaten Behandlungsmöglichkeiten kommt den Pflegekräften eine außergewöhnliche Bedeutung zu. Der Krankenschester-Beruf , er gehört zu den eher schlecht bezahlten Beschäftigungsmöglichkeiten innerhalb von Industriegesellschaften, wird hier über die außergewöhnliche Aufmerksamkeit, die ihr durch das im Zenttrum stehende, spielende Kind zu teil wird, zu einem heldenhaften Symbol erhoben. Das Heldenhafte der Pflegefigur hat indes wenig gemein mit den abgelegten Superhelden der postindustriellen Gesellschaft. Trotz der Tatsache, dass die Krankenschwesterpuppe nur als pars pro toto fungiert wird hier das  gesamte Ausmaß der 'Corona'-Krise offenbar:
Es geht um die Andeutung einer Art Umwertung bisheriger Werte als Wesenselement, das im Bild des spielenden Jungen sichtbar gemacht wird. Die bisherigen Helden  - im Hintergrund achtlos abgelegt - haben ausgedient. Es sind jedoch gerade die Antihelden, die in postindustriellen und protototalitären Gemeinschaften einen Rest von Menschlichkeit zu bewahren versuchen. Der 'Corona'-Shutdown hat die Gesellschaft des globalisierten Spätkapitalismus kurzerhand abgeschaltet. Eine möglicherweise resignative Hinwendung zum einfachen Überleben mit Hilfe der symbolhaften Pflegefigur läßt den spielenden Jungen eher passiv verharren.
Es wäre zu wenig, hierin nur Berufsgruppen zu sehen, denen Heldenhaftes bisher kaum zugebilligt wurde:  Banksy schenkt das Bild der Klinik, um einerseits auf Mißstände beim Krankenschwester-Beruf und der Pflegekräfte hinzuweisen, andererseits den beim Verkauf des Bildes potenziell erzielbaren Betrag dem Pflegenotstand zu gute kommen zu lassen. Das ist nichts anderes, als mit den Mitteln der überzogenen Hochpreisigkeit der Kunst- und Kulturindustrie Mißstände zu verringern oder gar aufzulösen - sofern die Rechnung Banksys aufgeht.
Diese restkapitalistischen Gedanken, die sich vorstellen könen, mit etwaig hohen erzielbaren Preisen für das Kunstwerk Pflegemöglichkeiten zu verbessern deuten zumindest an, dass die früheren postkapitalistischen Werte nicht gänzlich verschwunden sind, dass Kunst aber nicht dazu dienen soll, offensichtliche Missstände der Gesundheitsversorgung einer Gesellschaft zu bekämpfen.
Die bereits jetzt außergewöhnliche Aufmerksamkeit, der das Bild kurz nach der Übergabe an das Krankenhaus weltweit zuteil wurde, zeigt deutlich, wie die mediale Wirkung  von streetart auch als Gemälde bestens funktionieren kann, wenn sie folgerichtig Bezüge zur Gegenwart zu setzen weiß und den mittlerweile weltweit präsenten Namen Banksy trägt. Ähnlich der 'littérature engagée' der klassischen Moderne schwingt sich diese aktuelle streetart-Variante auf zu einer aktuellen Form von 'art-engagée', deren Verhaftetsein im Gegenwärtigen imstande ist, auch gesellschaftspolitische Kommentare zu transportieren. Es wird berichtet, dass die Arbeit Banksys begleitet wurde von einer Notiz des Künstlers, die die deutliche Aussage des Bildes noch verstärkt, wenn er darin schreibt: 
"Danke für alles, was Sie tun. Ich hoffe, dies erhellt den Ort ein wenig, auch wenn es nur schwarz und weiß ist."  Die allumfassende kapitalistische Farbigkeit hat nicht zuletzt in 'Corona'-Zeiten an konsumistischer Grundfarbigkeit verloren. Krankenschwestern werden über Nacht zu Helden und erheben sich zu vielschichtigen Bildthemen.

Das Bild soll nach einer Zeit des Aushangs im Hospital zu Gunsten des staatlichen Gesundheitsdienstes National Health Service (NHS) versteigert werden, wie die seitens der BBC berichtet wird.

 

 

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©  Patrik H. Feltes